JuPa (Club U40) aus medizinischer Sicht

Eine Vielzahl von besonderen Problemen

Unter Club U40 wird eine Gruppe von etwa zehn Prozent der Parkinsonkranken verstanden, deren Krankheit in einem Alter von um die 40 Jahre auftritt. Diese Gruppe zeichnet sich verständlicherweise durch eine Vielzahl von besonderen Problemen aus, die aus der Sicht des Arztes hier dargestellt werden.

Im derzeitigen Ablauf ist es leider viel zu häufig so, dass der Patient mit seiner Diagnose konfrontiert und allein gelassen wird. Dadurch tauchen Probleme auf, die einerseits das Wohlbefinden des Patienten entscheidend stören, zum anderen aber auch, da er als junger Mensch nach Problemlösungen sucht, das Vertrauensverhältnis zum Arzt von Anfang an entscheidend gestört sein kann.

Hier hat die Selbsthilfegruppe JuPa entscheidende Vorarbeit und Unter-stützungsarbeit geleistet, so dass die wichtigsten Probleme nur kurz nochmals angesprochen werden sollten:

Partnerschaft und Familie
Ein Parkinson-Syndrom in jungen Jahren bringt häufig die Frage mit sich, ob eine Partnerschaft überhaupt möglich sein kann. Bei bestehender Partner-schaft wäre es sehr wichtig, mit beiden Betroffenen über die Krankheit sprechen zu können: Patienten und Angehörige müssen wissen, was auf sie zukommt, um sich dann bewusst für oder gegen die Partnerschaft zu entscheiden. Ich halte es für wichtig, hier ganz offen und klar miteinander umzugehen: Trennungen habe ich sowohl von Patienten erlebt, die Abhängigkeitsphantasien nicht ertragen konnten, als auch von Angehörigen, von denen die Partnerschaft nur für die „guten Zeiten“ gemeint war.
Probleme mit der Sexualität können einerseits aus Partnerschaftskonflikten heraus entstehen, andererseits stellt uns das Parkinson-Syndrom auch gelegentlich vor die Bewältigung medizinischer Aufgaben für die Sexualität: So kann die oftmals begleitende depressive Verstimmung die Freude am Sexualleben beeinträchtigen. Parkinson-Medikation kann Impotenz unter-stützen oder Libidosteigerung verursachen (bestimmte Dopamin-Agonisten), was von den Patienten als besonders quälend empfunden wird.
Familienplanung muss genauestens besprochen werden. Parkinson ist nur in weniger als zehn Prozent vererblich, dennoch treten häufig Ängste auf, dass dem Kind etwas zustoßen könnte. Im Falle des Kinderwunsches einer Patientin müssen die Medikamente häufig neu eingestellt werden.
Beruf
Früher war es so, dass die Diagnose Parkinson-Syndrom in den meisten Fällen umgehend zur Berentung führte. Aus heutiger Sicht denke ich, dass man mit diesem Problem sehr sorgsam umgehen muss. Eine Berentung bedeutet für einen jungen Menschen immer auch die Gefahr einer schlechteren sozialen Stellung. Sie kann zu Unzufriedenheit und Verminderung des Selbstbewusst-seins führen. Andererseits darf auch nicht künstlich eine tägliche Frustrationssituation geschaffen werden.
Verlauf
Aufgrund der o.g. Probleme ist es nur zu verständlich, dass unsere Patienten in die Medikation eingreifen. Die Medikamente, die ihnen besonders gut tun, d.h. schnell wirken, werden bevorzugt eingesetzt. Dies ist bezüglich des Parkinson-Syndroms in den meisten Fällen ein einfaches Ersetzen des ausgefallenen Überträgerstoffes Dopamin durch seine Vorläuferstufe L-Dopa. Hat der Patient die gute schnelle Wirksamkeit dieses Präparates erfahren und ist er von seinem Arzt nicht gegenläufig aufgeklärt worden, wird der selbstverständlich dieses Medikament als Bedarfsmedikation einsetzen, d.h. es nehmen, wenn ihm der Körper nicht mehr richtig gehorcht oder sogar „vorsichtshalber“ vor oder in Stresssituationen. Leider haben wir aus den Verläufen erkennen müssen, dass eine Hochdosierung  der L-Dopa-Medikation und eine unregelmäßige Gabe der L-Dopa-Medikation zu einem schnellen Übergang  des Parkinson-Syndroms in eine schlechtere Phase führt („on-off“-Phänomen, Fluktuationen) und Phasen guter Beweglichkeit mit Überbeweglichkeiten (Hyperkinesen) oder Muskelverspannungen (Dystonien) einhergehen. Deswegen ist vor der Bedarfsmedikation unbedingt zu warnen! Es gibt andere Tabletten, Dopamin-Agonisten, die fast ebenso schnell wie L-Dopa wirken und die von uns als Bedarfsmedikament für den Notfall vorgeschlagen werden.

Ebenfalls verständlicherweise hat der junge Patient oftmals überhaupt keine Lust, krankengymnastische Übungen durchzuführen, die er seinen Kräften entsprechend für „Hampelei“ hält. Dabei wird leider häufig nicht bewusst, dass eben diese krankengymnastischen Übungen dafür da sind, gesunde Zellen des Gehirns, die sich in Ruheposition befinden, statt der erkrankten Zellen in das Netzwerk mit einzubeziehen. Auf diese Weise wird bis zu einem schlechteren Gesundheitszustand hin auf die Möglichkeit der Förderung der Reparatur verzichtet.

Alle genannten Punkte bedürfen eines dauerhaften Austausches zwischen Patient und behandelndem Arzt.

Hier hat die U 40-Gruppe der Deutschen Parkinson Vereinigung einen Großteil der Arbeit des Aufklärens und Auffangens übernommen. Dies ist in Zeiten, in denen in den Praxen und Kliniken allenfalls Zeit für ein kurzes orientierendes Gespräch gelassen wird, eine Chance für Patienten und Angehörige.

Prof. Dr. med. A. Henneberg

 

 

Aktuelle medikamentöse Therapie
des Parkinson-Syndroms

Der Durchbruch in der Therapie der Parkinson-Krankheit vor mehr als 30 Jahren hat dazu geführt, dass die Neurologie ihren negativen Ruf verloren hat, eine rein diagnostische, aber keine therapeutische medizinische Fachrichtung zu sein. Die Entdeckung der Rolle der Überträgerstoffe (Neurotransmitter) und die Möglichkeit der Beeinflussung des gestörten Gleichgewichts der Transmitter hat in der Erforschung von zahlreichen neurologischen und auch psychiatrischen Krankheiten als Motor der Entwicklung gewirkt.

Für die Parkinson-Patienten bedeutete die Einführung der L-Dopa Substitutionstherapie in Folge der guten Symptomkontrolle eine grundlegende Verbesserung der Lebensqualität und eine fast vollständige Normalisierung der früher deutlich reduzierten Lebens-erwartung. Viele Patienten erleben bei frühzeitiger Diagnosestellung und Therapie die sogenannte „honey moon-„ -Phase (englisch: Flitter-wochen), das heißt: die nach der Einführung der L-Dopa-Therapie eingetretene symptomfreie Zeit.

Die L-Dopa-Substitutionstherapie basiert auf der Entwickung des in Folge der Zelldegeneration der schwarzen Substanz aufgetretenen Dopamin-Mangels  in dem Streifenkörper. Nach einigen fehlge-schlagenen Behandlungsversuchen mit Dopamin, das die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren und so nicht wirksam sein konnte, wurde die Vorstufe des Dopamins  L-Dopa  verabreicht. L-Dopa  kann ins Gehirn eindringen und wird in den Nervenzellen weiter verarbeitet. Das entstehende Dopamin landet in den Speicherbläschen der Zellen und wird nach der Freisetzung von den Dopamin-Rezeptoren angenommen. Diese Stimulation der Dopamin-Rezeptoren führt zu dem großartigen therapeutischen Erfolg.

Die L-Dopa-Substitutionstherapie wurde im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte ständig verbessert. Ziel der Verfeinerung der Substitution bzw. der Einführung der sogenannten Kombinationstherapie waren zunächst die Verbesserung der Ver träg-lichkeit und die Verstärkung der Wirksamkeit. Heute ist die Vermeidung oder das Hinausschieben des sogenannten L-Dopa-Spätsyndroms (Fluktuationen, Dyskinesen)das Ziel. Es wurden einerseits Medikamente entwickelt, die den Dopamin-Stoffwechsel beeinflussen, andererseits solche, die die Dopamin- Rezeptoren direkt stimulieren. Diese neuen Medikamente werden im Allgemeinen in Form einer individuellen Kombinationstherapie verabreicht.

Die wichtigsten Elemente der aktuellen therapeutischen Strategie sind wie folgt:

Therapie heute –für die Zukunft zufriedenstellende aktuelle Symptom-beeinflussung  mit guter Langzeitwirkung und Langzeitverträglichkeit, neuroprotektive Therapie ansätze von Anfang an
individuelle Frühtherapie Berücksichtigung von Alter, Symptomatik, Verträglichkeit,  Beruf, Situation, Lebensplanung und Meinung des Patienten bei der Auswahl des Antiparkinsonmittels und des Zeitpunkts der Initialtherapie
frühe Kombinationstherapie Vorteile der Kombinationstherapie gegenüber L-Dopa-Monotherapie allgemein akzeptiert
individueller „maßgeschneiderter“ Therapieplan  individuelle medikamentöse  Einstellung unter Berücksichtigung von Alter, Symptomatik, Schweregrad, Begleitkrankheiten, Verträglichkeit, Beruf, Situation.
auskömmliche Minimaldosis Vermeidung von Überdosierung, „so wenig wiemöglich, aber so viel wie nötig“
physiologische Rezeptorstimulierung langwirksame Dopamin-Agonisten,    L-Dopa-Retard, Dosisfraktionierung
stufenweise Aufdosierung bzw. vorsichtiges Ausschleichen der  Präparate bessere Verträglichkeit, Vermeidung von Überdosierung (Möglichkeit der Verschlechterung oder einer akinetischen Krise bei zu schnellem Absetzen)
Zurücktitrieren der Dosis kontrollieren der Dosis zur Vermeidung der   Überdosierung. Nach der möglichst früh gestellten Diagnose ist eine grundsätzliche Frage zu Klären:
Wann und wie fangen wir die medikamentöse Therapie an?
Bei dieser Entscheidung spielt das biologische Alter des Patienten eine wichtige Rolle. Es müssen aber auch andere Gesichtspunkte wie Symptomatik, Verträglichkeit, Beruf, Situation, Lebensplanung und Meinung des Patienten bei der Auswahl der Initialtherapie berücksichtigt werden.
Bei Therapiebedürftigkeit unter 60 Jahren und beim Fehlen von Kontraindikationen wird heute im Allgemeinen ein Dopamin-Agonist als Anfangstherapie eingesetzt. Die jüngeren Patienten können die in der Agonisten-Monotherapie notwendig werdenden deutlich höheren Dosen von Dopamin-Agonisten besser tolerieren. Eventuell können diese Patienten auch einen Glutamatantagonisten erhalten. L-Dopa wird in dieser Gruppe nur bei Kontraindikaltionen oder Unverträglichkeit der Agonistentherapie oder bei der Notwendigkeit der sofortigen Symptomkontrolle (z.B. Beruf) als Anfangsthera-peutikum gegeben. Bei bestätigter Diagnose, aber noch fehlender Therapiebedürftigkeit kommt in dieser Gruppe aus Überlegungen der eventuellen neuroprotektiven Wirkung auch eine Selegilin-Monotherapie in Frage. Beim Fortschreiten der Erkrankung wird L-Dopa auch in dieser Gruppe notwendig. Langzeitstudien zeigten aber, dass die Häufigkeit von Dyskinesien deutlich niedriger ist, wenn die Patienten langjährig ohne L-Dopa, nur mit einem Agonisten behandelt wurden.
Über 60 Jahren ist die Gefahr des L-Dopa-Spätsyndroms kleiner. In dieser Gruppe wird L-Dopa als Initialtherapie verabreicht, über-wiegend niedrig dosiert und in Frühkombination mit Dopamin-Agonisten.
Bei leichteren Symptomen in der Anfangsphase ist auch die Gabe von Glutamatantagonisten (Amantadine) als Monotherapie in allen Alters-gruppen möglich. Amantadine haben neben der antiakinetischen und aufhellenden Wirkung auch einen nachgewiesenen antidyskinetischen Effekt, so dass diese Medikamente auch in der Kombinationstherapie und auch insbesondere bei L-Dopa-ausgelösten Dyskinesien eine wichtige Rolle spielen. In die Zusammensetzung der Kombinatlions-therapie kann auch Selegilin mit aufgenommen werden, hier eher aber aus Gründen der L-Dopa-Einsparung.
Nach der heutigen Auffassung wird also in allen Krankheitsphasen die medikamentöse Konmbinationstherapie bevorzugt angewendet, es sei denn, dass Verträglichkeitsprobleme, insbesondere im psychiatrischen Bereich, die Monotherapie mit L-Dopa erzwingen.
Die Erforschung der Krankheitsursachen und der Entsteheungs-mechanismen sowie der eventuell im Hintergrund liegenden genetischen Veränderungen, weiterhin die Erforschung der neuro-restaurativen Therapie (Wachstumsfaktoren, Neurophyllinliganden) sind wohl die Voraussetzung dafür, dass das hochgesteckte Ziel, die Heilung der Parkinson-Krankheit in absehbarer Zeit, erreicht werden kann. 
Die können uns auch irgendwann ermöglichen, dass der Ausbruch der Krankheit durch Herausfiltern der Risikopersonen im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen und durch adäquate (Gen-)Therapie verhindert werden kann.
 
F.Fornadi Ärztlicher Direktor
des Parkinson- Zentrums Gertrudis-Klinik Biskirchen

 

 

Nicht medikamentöse Therapieverfahren im Gesamtkonzept der Behandlung der Parkinson-Krankheit
Während einige Verfahren empirisch entstanden sind und somit auf positiven Erfahrungen beruhen, findet sich für andere Bausteine des therapeutischen Gesamtkonzeptes jetzt erst eine zunehmende wissenschaftliche Systematisierung und Begründung. Genannt werden können hier in Bezug auf die Parkinson-Krankheit Beiträge zum Sport, zur Krankengymnastik, zur Psychologie, zur ergänzenden Anwendung fernöstlicher Heilmethoden und zur Behandlung von Schlaf- und vegetativen Funktionsstörungen (Sexualität, häufiges oder unkontrolliertes Wasserlassen), um nur einige Themenfelder zu nennen.
Zentrales Anliegen all dieser therapeutischen Angebote ist die Verbesserung der Lebensqualität Betroffener. Diese verbessert sich nicht notwendigerweise, wenn sich der Arzt allein auf die motorischen und körperlichen Aspekte der Erkrankung konzentriert.
Im Mittelpunkt nicht medikamentöser, adjuvanter Therapieverfahren stehen somit eine Reihe von Symptomen und Beeinträchtigungen, welche sich nur unzureichend mit den (unverzichtbaren) üblichen medikamentösen Anwendungen beeinflussen lassen.
Gerade im jüngeren Lebensalter ist es wesentlich festzustellen, dass es nicht die Parkinson-Krankheit mit einigen wenigen und immer wiederkehrenden Symptomen gibt Die bekannten Hauptsymptome können in ganz unterschiedlicher Ausprägung und Variation mit zusätzlichen Beschwerden, welche in einem konkreten Zusammen-hang mit der psychosozialen Lebens-situation des Patienten  stehen, vorkommen, jeder Betroffene hat seinen „eigenen Parkinson“.
Neben die differenzierte  und individuell abgestimmte medikamentöse Therapie gehört somit ein individuell und den ganz konkreten Zielen und Lebensumständen des Betroffenen entsprechendes nicht medikamentöses (gemeinsam mit dem medikamentösen auch ein ganzheitliches) Behandlungskonzept.
Die Vorteile der Physiotherapie (motorisch übende Verfahren, medizinische Trainingstherapie, Dehnungstechniken, therapeutisches Schwimmen und passive Therapieverfahren wie Massagen, Bäder und Elektrotherapie) sind heute anerkannt.
Ergänzende fernöstliche Therapieverfahren (z.B. REIKI) können das Therapie- spektrum positiv ergänzen.

Der Verlauf der Parkinson’schen Krankheit geht in vielen Fällen mit Störungen des Sprechens, der Sprache und mit Störungen des Schluckens einher.

Übungen zur Verbesserung einer reduzierten Sprechlautstärke und einer besseren Verständlichkeit des Sprechens können u.a. nach dem „Lee-Silvermann-Voice-Treatment-Verfahren“ durchgeführt werden.
Es kann gesagt werden, dass nicht medikamentöse ganzheitliche Therapieansätze bei jüngeren Betroffenen wesentlich dazu beitragen, die Lebensqualität Betroffener zu erhalten und zu verbessern.
 
Dr.med.Albrecht Hendrich
Fachklinik Bad Rodach